Grittibänz (das sind Hefeteigmänner) Die schönsten Grittibänzen in unserer Stadt gibt es in der Bäckerei Engel. Gustav Engel backt sie seit vier Jahrzehnten alle Jahre höchstpersönlich. Aus hellem, süssem Hefeteig, wie sich das gehört. Eben stellt seine Frau Thea vier Dutzend frischgebackene Hefeteigmänner in das weihnachtlich dekorierte Schaufenster. Einer ist schöner als der andere! "Viel zu schade zum Essen", murmelt Thea Engel. "Mein Gustav ist wirklich ein Meisterbäcker!" "Stimmt genau", flüstert der Grittibänz, den sie gerade in der Hand hält "Bis auf....." "Bis auf was?" fragt Thea verdutzt. "Ich will eine Frau", flüstert der Grittibänz sehnsüchtig. "Warum backt er immer nur Männer?" Thea Engel schaut den Grittibänz lange an. Sehr lange! Ohne ein Wort zu sagen. Recht hat er, denkt Thea Engel dann, verflixt noch mal, er hat recht! Warum backt Gustav immer nur Männer? Sie trägt den Grittibänz in die Backstube. Gustav Engel rollt gerade einen letzten Quadratmeter Teig aus, für Wiener Weihnachtsherzen. Wenn sie fertig sind, will er schlafen gehen. Seit Mitternacht ist er auf den Beinen. Jetzt ist es sieben Uhr. In einer Viertelstunde beginnt der Ladenverkauf. Dafür ist Tea zuständig. Gustav taucht erst spätnachmittags wieder auf. "Was gibt's?" fragt er nun, weil seine Frau mit einem Grittibänz dasteht und ihn so merkwürdig ansieht. "Nichts", antwortet Thea Engel, "nichts Besonderes; nur der hier..." Sie hält ihrem Mann den Grittibänz unter die Nase. "Der spricht!" Bäcker Engel guckt sie missmutig an. "Quatsch", brummt er, "noch nie hat ein Grittibänz gesprochen" "Ich weiss", sagt Thea schnell, "aber der hier spricht wirklich!" Gustav Engel schüttelt den Kopf. Er ist müde. Morgens zwischen sieben und acht soll man ihn gefälligst in Ruhe lassen! "Er will eine Frau", sagt Thea Engel vorsichtig, "ich versteh das!" "So’n Quatsch", brummt ihr Mann. "Ich fang doch nach vierzig Bäckerjahren nicht mit Hefeteigfrauen an. So'n Quatsch!" "Ist schon in Ordnung", antwortet ihm Thea. "Du hast ja recht. In deinem Alter kann man nichts Neues mehr ausprobieren. Dafür sind die Jüngeren da!" Sie dreht sich um und geht in den Laden zurück. Mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. "Du hast nichts erreicht", flüstert der Grittibänz. "Du hättest es klüger anfangen müssen. «" Er verzieht seine Zuckerguss-Mundwinkel nach unten und quengelt: "Ich will eine Frau, ich will eine Frau, ich will eine Frau!" " Pssscht!" sagt Thea Engel. "Pssscht! Hab doch Geduld. Du kriegst deine Frau!" Sie lehnt den schmollenden Grittibänz an eine Packung Paniermehl im Regal hinter der Theke. Die ersten Kunden kommen. Thea hat keine Zeit mehr. Ausser den üblichen Mengen von Brot und Brötchen verkauft sie heute früh schon neun Grittibänzen. Jedesmal, wenn sie einen aus dem Schaufenster holt, geistern ihr die gleichen Gedanken durch den Kopf. Alle sind stumm, so stumm, wie solche Kerle nun einmal sind. Wieso spricht Einer von vielen? Als der Laden endlich einmal leer ist, fragt sie den immer noch schmollenden Grittibänz: "Wieso redest du überhaupt?" "Weil ich eine Frau will", antwortet er ihr. Thea Engel seufzt. Das ist doch keine Antwort auf ihre Frage! "Und die anderen? Deine Kollegen, wieso sprechen sie nicht?" Nun seufzt der Grittibänz. "Weil sie eben keine Frau wollen." "Ja, und", Thea stützt die Hände auf ihre Hüften, "wieso wollen sie keine Frau?" "Vielleicht wollen sie auch eine", sagt der Grittibänz schnippisch, "aber sie reden ja nicht!" Thea Engel gibt es auf. Dieser eine Grittibänz :redet. Die anderen reden eben nicht! "Hast du einen Namen?" fragt sie, um das Gespräch zu beenden. "Laurentius heisse ich",sagt der Grittibänz. "Wann kriege ich meine Laurentia?" "Sehr bald", sagt Thea. "Hab noch ein bisschen Geduld." Sie ist sich ganz sicher; Gustav hat bestimmt längst eine Teigfrau in den Backofen geschoben. Eigentlich müsste er jeden Augenblick auftauchen ... Richtig! Da kommt er ja schon. Mit einem Kuchenblech in der Hand. "Damit du Bescheid weißt", brummt er, "alt bin ich noch nicht! Werde glücklich mit ihr.« Auf dem Backblech liegt eine Grittifrau, die so hübsch aussieht, dass Thea für einen Moment sprachlos ist. Sie wirft ihrem Mann einen zärtlichen Blick zu. Gustav ist nicht nur ein Meisterbäcker; er ist ein Künstler! Sogar einen Trägerrock und eine Bluse mit Kragen hat er geformt und mit Mandeln und Zuckerperlen verziert. Und über die Rosinenaugen hat er helle, freche Ponyfransen aus Zuckerguss gespritzt, darüber einen Zopf aus Hefeteig gelegt. Thea lächelt verträumt. So ähnlich hat sie ihre Haare früher auch getragen! Gustav legt sein Kunstwerk vorsichtig auf die Ladentheke. Mit einem Satz springt der Grittibänz vom Regal. "Endlich!" jauchzt er. "Laurentia! Komm, meine Liebe!" "Donnerwetter", staunt jetzt Bäcker Engel, "der Kerl spricht tatsächlich! Wieso spricht er? Wieso nennt er sie Laurentia?" "Frag nicht soviel", sagt Thea Engel. "Laurentius spricht eben. Guck mal, wie jung sie noch sind! Und wie verliebt! Ist das nicht schön?" "So'n Quatsch", brummt Gustav Engel. "Laurentius und Laurentia!" Er schaut den beiden kopfschüttelnd nach. Sie sind von der Theke gehüpft, eilen Hand in Hand auf die Ladentür zu, ohne zu zögern. Als wüssten sie genau, wohin sie nun gehen. Thea Engel strahlt. Für Liebesgeschichten hatte sie schon immer viel übrig! Plötzlich ertönt eine entschlossene Stimme aus dem Schaufenster: "Ich will auch eine Frau!" "Ich auch!" Alle Grittibänzen im Fenster beginnen zu schreien: "Ich auch!" – "Ich auch!"—"Ich auch!"—"Ich..." Thea hält sich die Ohren zu. "Das kommt davon, meine Liebe«" sagt Bäcker Engel und schmunzelt. "Sieh du zu, wie du mit ihnen fertig wirst. Ich gehe jetzt schlafen! Anne Steinwart